„Die Hälfte des Himmels“ oder der Wolf im Schafspelz

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Copyright Bild: Verlag C.H. BeckWas tun, wenn selbst die seriösen Blätter den Kopf verlieren? Kürzlich stimmte nun auch die FAZ fröhlich ein in den Lobgesang auf die aktuell vorliegende deutsche Ausgabe von“Die Hälfte des Himmels. Wie Frauen weltweit für eine bessere Zukunft kämpfen” des erfolgverwöhnten Autorenpaars Sheryl WuDunn und Nick D. Kristof. Also jenem Kristof, der nicht selten durch kulturell relativierende Ansichten zu Frauenrechten auffällig wurde, aber dennoch oder gerade deswegen einen festen Platz in der amerikanischen Elite-Journaille inne hat.

Das Buch sei “ein Ereignis”, ist vom begeisterten FAZ-Redakteur zu erfahren. Besonders lobt der Rezensent, dass die beiden Fleiß begabten Autoren “massenhaft länderspezifische Informationen verarbeitet haben, ohne dass je die Spannung nachließe – man folgt dieser bedrückenden Reise um die Welt tatsächlich atemlos”. (Schön, wenn das Grauen endlich auch einmal unserem Anspruch auf gute Unterhaltung gerecht wird.)

“Sie sind keine Dogmatiker”, da ist der FAZ-Mann sicher. Dabei verfügen Kristof und WuDunn geradezu selbstverständlich darüber, welcher Art das Grauen zu sein hat, das es in die Kategorie konsequent zu ahnender Verbrechen schafft und jenem, das eher den kulturellen Schrullen zuzuordnen und daher allenfalls respektvoll und geduldig anzugehen sei.  Denn: “Die Autoren fordern ein hartes Durchgreifen gegen Zwangsprostitution, weil der weiche Weg erfolglos geblieben sei, aber eine diplomatische Strategie beim Vorgehen gegen Mädchenbeschneidungen.”  

Eines der meist verbreiteten Gewaltverbrechen gegen weibliche Kinder wird hier ohne mit der Wimper zu zucken zur kulturellen Angelegenheit verklärt. Die kleinen Mädchen werden sicher Verständnis dafür zeigen, dass über die Abschaffung der Genitalverstümmelung noch weitere Jahrzehnte zu debattieren sein wird – während jeden Tag 8.000 von ihnen brutal die Geschlechtsteile herausgeschlachtet werden.

Satirebegabt zeigt sich der Redakteur an dieser Stelle: “Als knallharte Empiriker kümmert sie allein die Situation vor Ort: ´Fünf Jumbojets voller Frauen sterben Tag für Tag an Geburtskomplikationen`”. Die Lösung hat er parat: “da hilft keine Kulturthese weiter, sondern allein eine koordinierte Kampagne für professionelle Geburtshilfe.” In dieser Art werden uns weitere Vorzüge des Buchs beschrieben, dessen fehlende Originalität die Autoren durch gekonnte Anbiederung ans bürgerliche Gewissen elegant zu überspielen wissen.

Der FAZ-Redakteur lobt unverdrossen: „Das Buch zoomt nicht nur unfassbare sexistische Gewalttaten in weit entfernten Regionen heran”, der Stil der Reportagen sei “zu nobel, um als sensationsheischend gelten zu können.”

Dabei pflegen die Autoren einen weniger noblen, aber um so unbekümmerteren Umgang mit dem geistigen Eigentum anderer Autoren: Bereits in den 1970er Jahren trug Mary Daly fundierte Erkenntnisse über den die Welt seit Menschengedenken beherrschenden Frauenhass in ihrem Buch “Gyn/Ökologie: Eine Metaethik des radikalen Feminismus” zusammen. Mary Daly war es, die uns zuerst – solide recherchiert und äußerst lebendig beschrieben – ein markerschütterndes Kompendium über Gewaltexzesse an Abermillionen von Frauen und Mädchen lieferte und mit ihrer fundierten Analyse der gesellschaftlichen Muster auch den Weg aus Unterdrückung und Marginalisierung zeigte.

Vielen Menschen dürfte sich seinerzeit offenbart haben, dass Phänomene wie die Genitalverstümmelung von Mädchen, Steinigungen und sogenannte Ehrverbrechen von dem selben brutalen männlichen Machtanspruch geleitet und getragen werden. Am Beispiel der Fußverstümmelung in China wird deutlich, wie verhältnismäßig einfach und rasch ein massenhaft betriebenes Verbrechen gegen die weibliche Bevölkerung ausgerottet werden kann.

Mary Daly fügte die Bilder der scheinbar unabhängigen Vernichtungsakte gegen die weibliche Selbstbestimmung – und oft genug ihre blanke Existenz – zu einem Panaroma, das die brutale Fratze des vulgären weltweiten Frauenhasses zeigt.

Kristof offenbart sich mit diesem Buch in ganz anderer Weise: Deutlich wird neben der beifallheischenden Grundhaltung vor allem die vorgetäuschte Empathie für die Opfer und Überlebenden der brutalsten Menschheitsverbrechen an Mädchen und Frauen. Bleibt zu hoffen, dass nicht herdenweise Frauen diesem Feminismus vortäuschenden Mann sekundieren, wie es WuDunn hier für ihren Ehemann tut.

Bitte kaufen und lesen Sie stattdessen:

Mary Daly: Gyn/ Ökologie: Eine Metaethik des radikalen Feminismus, erschienen im Verlag Frauenoffensive; 5. erweiterte Auflage 1991, 490 Seiten (antiquarisch über Amazon oder Booklooker zu beziehen)

und

Jack Holland: Misogynie. Die Geschichte des Frauenhasses, erschienen im Zweitausendeins Verlag, Frankfurt am Main 2007, 406 Seiten, erstmals als Taschenbuch für 9,90 EUR



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